September 2021
Dr. Hans Peter Weinschenck, Kgl. Priv. Apotheke in Satrup, Mittelangeln
Krank durch Piercen?
Einige Zeitgenossen halten Tätowieren oder Piercen für „krank“. Während über diese Ansicht hitzig diskutiert werden darf, lässt sich ein Umstand nicht bestreiten: Man kann durch eine Tätowierung oder ein Piercing krank werden – sehr krank sogar.
Arbeitet das Piercing- oder Tatoo-Studio unhygienisch, besteht ein hohes Risiko, sich mit Krankheitserregern anzustecken. HIV oder Hepatitis (Leberentzündung) werden durch Blut übertragen und sind nur einige der drohenden Spätfolgen. Übrigens wurden sogar in Vorratsflaschen mit Desinfektionsmitteln gefährliche Bakterien gefunden.
Obwohl ein Piercing einen bedeutenden Eingriff mit Folgen für den Körper darstellt (Zunge, Ohr, Brust, Intimbereich) haben die Betreiber von Piercing-Studios in der Regel keine medizinische Ausbildung. Ein großer Teil der Piercer lernt durch Zusehen oder Lehrvideos. Für das Eröffnen genügt ein Gewerbeschein. Umso genauer sollte man hinsehen, bevor man sich zu einem Piercing entschließt. Eine umfassende Aufklärung des Kunden ist Pflicht. Der Behandlungsraum sollte gefliest und durch Türen abgetrennt sein, damit die einwandfreie Desinfektion möglich ist. Waschbecken sollten möglichst weit von der Behandlungsliege entfernt sein, weil schon durch kleinste Wasserspritzer Infektionen möglich sind. Der vorgesehene Hautbereich sollte weitreichend desinfiziert werden – das Desinfektionsmittel muß dazu vorher in ausreichender Menge (!) mehrere Minuten (!) auf die saubere (!) Haut einwirken. Der Piercer muß sich die Hände desinfizieren und sterile Handschuhe tragen. Ferner müssen die verwendeten Instrumente und Schmückstücke steril sein. Bei Minderjährigen ist das Einverständnis der Eltern notwendig, andernfalls erfüllt das Piercen den Straftatbestand der Körperverletzung. Zwar ist eine regelmäßige Begehung der Studios durch die lokalen Gesundheitsämter vorgesehen, aus einem Bericht des „Deutschen Ärzteblattes“ geht jedoch hervor, daß die Ämter sich mitunter dieser Aufgabe personell nicht gewachsen fühlen. Diesen Eindruck konnte ich vor kurzem bei meiner Nachfrage bei einem Gesundheitsamt nicht widerlegen.
Insbesondere beim Piercen der Nasen- und Ohrmuschel besteht eine ganz erhebliche Infektionsgefahr: aus Entzündungen im nur wenig durchbluteten Knorpel entstehen nicht selten z.B. sogenannte „Blumenkohlohren“ die nur durch aufwendige, plastische Korrektur-Operationen behoben werden können.
Genauso problematisch sind der Umgang und die Hygiene mit einem vorhandenen Piercing. Gerade an bestimmten Körperstellen wie Augenbrauen, Nase und Zunge, den Brustwarzen oder den Genitalien führen mangelhafte Pflege oder starkes Schwitzen mitunter zu schwerwiegenden Infekten. Ohnehin sind diese Körperregionen ein natürliches Reservoir für Krankheitserreger und dienen nun als willkommene Eintrittspforte: die sich dort in Scharen tummelnden Staphylokokken und Streptokokken erzeugen beispielsweise Zungenabszesse oder – wenn ins Blut gelangt - lebensgefährliche Entzündungen der Herzmuskels und der Herzklappen. Übrigens lassen sich auch Kontaktlinseninfektionen in vielen Fällen auf eine Infektion durch Piercing zurückführen.
Sage und schreibe 6 Wochen dauert es, bis ein Zungenpiercing verheilt ist, am Bauchnabel kann die Heilung sogar bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen! Reichlich Zeit also für die gefährlichen Erreger, um ungehindert in die Blutbahn zu gelangen, und um in den inneren Organen ihr Unwesen zu treiben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bakterien zusammen mit Schmutz, Fett, Schweiß und Sekret fest auf dem Metall oder dem Kunststoffelement der Schmuckstücke haften. Geschützt in diesem schwer angreifbaren Biofilm fristen ganze Kolonien „unbekümmert“ ihr Dasein. Kein Wunder, dass es dort mit hoher Wahrscheinlichkeit immer wieder zu Problemen kommen kann. Auf die gewissenhafte Pflege der gepiercten Stellen darf daher nicht verzichtet werden.
Obwohl Piercen seit längerem „groß in Mode“ ist, sollte man sich wegen der damit verbundenen möglichen Gefahren genauestens überlegen, wie, wo und ob man sich überhaupt piercen lässt. Gerade an Ohrmuscheln, der Nase, dem Bauchnabel, den Genitalien oder der Zunge könnte die anfängliche Freude schnell der Reue weichen.
Dr. Hans Peter Weinschenck